Karl Boll war ein lutherischer Pastor und einer der herausragenden Nationalsozialisten in der Hamburger Landeskirche. Der Sohn eines Hoteliers nahm ab 1915 als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil, wobei er schwer verletzt wurde. Nach dem Abitur 1919 in Lübeck studierte er Evangelische Theologie in Kiel, Tübingen, Rostock und Bethel. 1924 wurde er in Rostock mit einer Arbeit über Schopenhauer promoviert. 1927 legte er in Hamburg die erste theologische Prüfung ab, war Vikar in Eppendorf bei Ludwig Heitmann und bestand zwei Jahre später das zweite theologische Examen. 1929 wurde Boll in Hamburg-St. Nikolai durch Hauptpastor Heinz Beckmann ordiniert und arbeitete anschließend als Hilfsprediger am Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf. 1930 wurde ihm der Pastorentitel verliehen, 1932 erhielt er dort eine Pastorenstelle, die er bis zum Kriegsende behielt. Im März 1933 trat Boll der NSDAP bei und schloss sich den „Deutschen Christen“ an, zu deren führenden Vertretern in Hamburg er aufstieg. Boll pflegte engen Kontakt zum nationalsozialistischen Bürgermeister Carl Vincent Krogmann. Am 5. September 1934 ernannte Landesbischof Franz Tügel Boll aufgrund politischer Fürsprache zum Oberkirchenrat im Nebenamt. Diese Funktion übte er bis zur Abberufung 1936 aus. Tügel begründete diesen Schritt mit dem fehlenden Vertrauen in der Pastorenschaft und der engen Verbindung Bolls mit dem „Bund für deutsches Christentum“ und dessen Engagement für die radikale Thüringer Richtung der DC. Boll galt als Vertreter der „nationalkirchlichen“ Richtung, die Tügel vom lutherischen Standpunkt aus als „bekenntniswidrig“ einstufte. 1936 soll Boll belastendes Material über den späteren Bischof Karl Witte an die Redaktion der SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“ weitergeleitet haben. Auch werden Boll in seiner Funktion als Oberkirchenrat zahlreiche Denunziationsbriefe an die Gestapo angelastet. Die NSDAP-Gauleitung sprach Boll nach seiner Entbindung von diesem Amt öffentlich ihr Vertrauen aus. Ende 1936 zog Boll sich aus der Führungsgruppe der DC in Hamburg zurück und gründete im Januar 1937 die radikale „Kampfgruppe der Kommenden Kirche“, was zum Ausschluss aus den DC führte. Im Februar 1940 wurde Boll als Psychologe zum Heeresdienst einberufen und am 9. Mai 1940 zum Kriegsverwaltungsrat, am 1. März 1941 zum Regierungsrat der Reserve ernannt. Im März 1943 wurde er zum aktiven Kriegsdienst einberufen und war zeitweise in Norwegen stationiert. Wegen angeblich defätistischer Äußerungen wurde er im September 1944 denunziert und am 19. Januar 1945 zu fünf Jahren Zuchthaus in der Festung Torgau verurteilt; drei Monate später geriet er in amerikanische Gefangenschaft und wurde aus gesundheitlichen Gründen schnell entlassen. Psychologische Gutachten 1945 und 1956 ergaben, dass Boll seit seiner schweren Verwundung im Jahr 1917 an einer depressiven Psychose gelitten habe und starken Stimmungsschwankungen unterworfen sei bzw. es zu krankhaften Störungen der Geistestätigkeit komme. Zum 1. Dezember 1945 wurde er als einziger Hamburger Pastor dauerhaft wegen seines nationalsozialistischen Engagements in den Ruhestand versetzt und nicht wieder reaktiviert; seine Ruhestandsbezüge bemaßen sich am Gehalt eines Oberkirchenrates. Erst nach juristischen Auseinandersetzungen räumte er 1950 sein Pastorat in Lokstedt, das im Nationalsozialismus von einer zur Emigration gezwungenen jüdischen Familie erworben worden war. Von 1952 bis 1955 war er als Psychologe im staatlichen Prüfungsamt für den öffentlichen Dienst in Hamburg tätig, wobei er seine Parteizugehörigkeit verschwiegen hatte. Ab 1957 arbeitete er für das Kieler Innenministerium als Sachverständiger bei Auswahlverfahren. Boll lebte später in Reinbek und widmete sich im Ruhestand literaturwissenschaftlichen Forschungen, insbesondere über Theodor Storm. Er engagierte sich im Berufsverband Deutscher Psychologen, in der Kosmos-Gesellschaft der Naturfreunde und der Theodor-Storm-Gesellschaft. |